Seit 2 Wochen geht mir diese Fragestellung im Kopf herum. Seit dem wir die Fremdbetreuung durch die Tagesmutter abbrechen mussten und seit dem ich viel Feedback von anderen Mütter erhalten habe, die mich fragten: Was verstehe ich unter selbstbestimmt? Wieso hatte die Tagesmutter damit Probleme? Oder das sie ähnliche Ängst und Bedenken haben, dass ihre eigenständig und selbstbestimmt erzogenen Kinder Probleme bei der Eingewöhnung haben werden.
Ich meine damit nicht, dass wir als Eltern unsere Kinder als Problemkinder ansehen. Sondern eher unser System und unsere Gesellschaft, welche oft nicht mit solchen Kindern umzugehen weiß. Kinder sollen doch "funktionieren", sie sollen gehorsam sein und sich den Forderungen des Erwachsenen fügen und sich zu benehmen wissen. Dann ist alles leichter. Dann können wir Erwachsene unsere täglichen Abläufe einhalten und werden nicht gestört oder fühlen uns gestört...
Ich habe gestern mit dem Buch "Liebe und Eigenständigkeit" von Alfie Kohn begonnen. Ein wundervolles Buch, welches immer wieder gerne im Zusammenhang mit dem bedürfnisorientierten Umgang mit Kinderm empfohlen wird.
Ich bin noch nicht über die Einleitung hinaus und schon stoße ich im Grunde auf meine obige Fragestellung:
Mir wurde klar, dass die meisten Menschen in unserer Gesellschaft sich genau das am meisten von Kindern wünschen: nicht, dass sie fürsorglich, kreativ oder neugierig sind, sondern einfach dass sie sich gut benehmen. Ein "gutes" Kind - vom Säugling bis zum Jugendlichen - ist eines, das uns Erwachsene nicht allzu sehr stört.
Wenn es uns nur darum geht, Kinder dazu zu bewegen, zu tun, was wir sagen, ist das unter anderem deshalb so problematisch, weil es möglicherweise im Widerspruch zu anderen, höher gesteckten Zielen, die wir für sie haben, steht.
"Was sind Ihre langfristigen Ziele für Ihre Kinder? Welches Wort oder welchen Ausdruck kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie beschreiben möchten, wie Sie sich Ihre Kinder wünschen würden, wenn sie erwachsen sind?"
Wollen wir folgsame Erwachsene? Erwachsene die nichts hinterfragen? Die immer tun, was man ihnen sagt? Plankes Gehorsam?
Kommen einem dabei dunkle Gedanken? An schreckliche Dinge? Die nur getan werden konnten in der grausigen Menschengeschichte, weil die Gesellschaft genau so war? Weil diese "Tugenden" bei Kindern und auch Erwachsenen gewünscht und geachtet waren? Ja, ich weiß, etwas polemisch... aber ein Fünkchen Wahrheit steckt doch darin, oder?
Ich denke, niemand würde wollen, dass sein Kind als Erwachsene nur tut, was man von ihm verlangt und keine eigene Meinung besitzt und diese auch vertritt. Aber wieso wollen wir, dass sie als Kinder so sind? Und wie sollen sie als Erwachsene anders werden, wenn sie als Kinder nicht eigenständig und selbstbestimmt sein dürfen?
Wir waren noch im letzten Jahr auf einem Gospel-Konzert in einer Kirche. Das Herzkind kam natürlich mit. Mit der Option, will er nicht mehr stillsitzen, dann gehen wir eben früher oder einer von uns geht mal mit ihm kurz raus. Es gibt Möglichkeiten. Das Herzkind wanderte ständig in der Bankreihe hin und her, von Oma zu Papa und wieder zurück, immer über die Füße von Opa und Mama... und horschte dabei die Gospelklänge. Nach dem Konzert als die Lichter wieder angingen, wurde ich von mehreren Seiten beglückwünscht. Man hätte garnicht gemerkt, dass hier ein Kleinkind wäre und wie ruhig er doch war und eine andere Dame meinte entrüstet, ihre Enkeltochter hätte sie garnicht mitnehmen können, weil sie eben nicht ruhig sein kann...
Ja, ich habe mich irgendwie schon darüber gefreut, dass ich gelobt wurde.... für eine Erziehung, die es eigentlich nicht gibt... denn ich hätte mein Kind niemals zum Stillsitzen und ruhig-sein gezwungen. Dennoch wird es von unserer Gesellschaft gefordert. Kinder sollen nicht auffallen, sie sollen sich ruhig verhalten und nett sein, bloß nicht schreien und durch die Gänge fegen und andere Menschen nerven... denn dann sind sie nicht gut erzogen...
Solche Kinder machen nur Probleme! Sie fügen sich nicht einfach ein! Sie hinterfragen, dass was mit ihnen getan werden soll (Eingewöhnung, zu-Bett-gehen, Regeln im Allgemeinen) und wenn es nicht mit ihrem Denken übereinstimmt, dann geben sie dies kund! Man kann ihnen nicht einfach eine Haube überziehen, die für alle Kinder gleichsam gelten soll. Selbstbestimmtheit hat bei Kindern wohl immer noch nicht den Stellenwert, denn dieser haben sollte. Wie sonst, kann dies ein Problem sein?
Ich habe keine Probleme mit meinem eigenständigen und selbstbestimmten Kind? Ich weiß, dass ich ihn einbinden muss, dass ein Nein nicht einfach akzeptiert wird, dass er seine Freiräume braucht und er auch die Möglichkeit und die Zeit benötigt sich selbst auf Neues einzulassen und dann auf mich zukommt. Klingt das nicht auch, wie wir selbst behandelt werden möchten? Ich kann vielen Meinungsverschiedenheiten entgegen wirken, in dem ich mich zuerst frage, was will ich wirklich? Stelle ich eine Regel auf um der Regel willen oder weil es wirklich wichtig ist? Ich hinterfragte mich! Und das sollte jeder tun, nicht nur von den Kindern eine Änderung und Anpassung verlangen, sondern auch die eigene innere Einstellung ändern!
Nicht blinden Gehorsam wollen wir für unsere Kinder und damit für die Zukunft unseres Landes und auch für unsere gemeinsame Welt. Wir wollen eigenständig denkende und selbstbestimmte Kinder und spätere Erwachsene, welche eine Meinung besitzen, die sie vertreten können und somit für ihre Ziele und Werte einstehen werden!
Nein, eigenständige und selbstbestimmte Kinder sind keine Problemkinder! Unsere Denkungsweise macht daraus nur ein Problem.