Am Montag war ich auf einem kostenlosen Vortrag, welches mein Arbeitgeber im Rahmen seines Work-Life-Balance-Programms angeboten hat. In diesem Vortrag, der von Fr.Dr. Viernickel geleitet wurde, ging es um "Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel"
Der Vortrag ging leider nur 45 Minuten, so dass alle wichtigen Themen nur sehr grob angesprochen werden konnten. Ich habe mich sehr darin wiedergefunden und fand es schade, dass wir nicht wirklich in die Tiefe einsteigen konnten. Nach diesem Vortrag ging es in die Workshops, man konnte zwischen 4 verschiedenen Varianten wählen... so richtig entscheiden konnte ich mich nicht und ging in "Talk, Talk, Talk! Gespräche mit meinem Kind".... Auch hier leider alles wieder sehr allgemein und so gehalten, dass sich sicherlich jeder darin wiederfinden würde und jeder sich denkt, so würde ich das auch machen.... nur an der Umsetzung hapert es dann doch meist... kennen wir, oder?
Zwischendurch konnten wir als Eltern natürlich immer wieder Fragen stellen, zu aktuellen Gesprächsthemen mit unseren Kinder, die uns gerade auf dem Herzen liegen. Eine Mutter meldete sich mit folgender Frage:
"Meine Tochter ist noch so klein, sie kann mir noch nicht beim Kochen helfen. Hängt mir aber wie ein Klämmeräffchen am Bein, wenn ich in der Küche stehe... wenn ich sie darum bitte zu warten versteht sie es nicht. Ihre ältere Tochter war überhaupt nicht so und wenn die Kleine dann doch wartet, geht sie mit Vorliebe auf das Sofa, auf das sie alleine doch garnicht soll....."
Ich fragte die Dame, wie alt denn ihre Tochter sei und wollte ihr den Lernturm vorstellen.... 16 Monate ist ihre Tochter alt.... ich erklärte ihr die Vorzüge eines Lernturms und das ihre Tochter in diesem Alter doch schon in der Küche mithelfen könnte. Auch einige der anderen Eltern meldeten sich und empfahlen der Dame, ihre Tochter wirklich helfen zu lassen.
Wieso traut diese Mutter ihrem Kind so wenig zu? Wieso soll das Kind noch nicht helfen können? Und was soll mit 16 Monaten auf dem Sofa passieren, dass die kleine Tochter da noch nicht alleine hoch darf? Ich stelle mir einen kleinen Hochsicherheitstrakt vor... und konnte mir vorstellen, warum dieses kleine Mädchen so quengelig in verschiedenen Situationen wurde.... ganz ehrlich, würden wir auch werden, wenn wir nichts alleine tun dürften, oder?
Von Anfang an, ab der Geburt, wissen wir als Eltern, dass wir unseren Kindern in ihrem Wachsen und Streben nur zur Seite stehen können. Wir müssen sie ihre Erfahrungen machen lassen und nach und nach alle Verantwortungen, die wir zunächst für sie übernommen haben, an unsere Kinder auch wieder abgeben.
Nur so können sie ein Körpergefühl entwickeln, nur so kann ihr Selbstwertgefühl, ihr Selbstvertrauen an sich wachsen und ihr Selbstbewusstsein wird gestärkt und ihr Vertrauen ins uns wächst. Denn wenn unsere Kinder merken, dass wir ihnen beistehen, sie aber nicht behindern, dann können sie ins sich Ruhen. Sie müssen nicht sich und ihren Freiraum stetig verteigen, was dann gerne als Trotzen bezeichnet wird.
Vor lauter Sorge um unsere Kinder sind wir versucht, sie mit unserem eigenen Vorstellungen zu bedrängen. Wir möchten fast unaufhörlich auf sie einwirken, um sie vor unliebsamen Erfahrungen zu schützen. Doch Kinder wollen freigegeben werden überall dort, wo es gefahrlos möglich ist.
Loslassen hat mit Vertrauen zu tun, Vertrauen in uns selbst und in unser Kind. Wenn wir ihm einen gesunden Nährboden, Luft, Liebe und genügend Freiraum gewähren, ihm dann auch vernüftige Grenzen setzen, wird es sich weitgehend selbst aufbauen,
so wie es auch die Natur ganz von selbst tut.
Loslassen heisst, das Kind zur Selbstständigkeit freizugeben, es gewähren lassen, uns zurückhalten, überall dort, wo wir dem Kind seinen Freiraum gefahrlos überlassen können. Sich zurückhalten ist das Gegenteil von sich aufdrängen. Es bedeutet zu lieben, ohne zu beherrschen oder unnötig einzuengen.
Wir müssen keine perfekten Eltern sein, können es auch nicht, so sehr wir uns auch darum bemühen! Wenn wir unser Bestes geben, dürfen wir loslassen, das heisst, uns immer wieder von Ängsten und Sorgen lösen und vertrauen, dass unser Kind seinen Weg Schritt für Schritt bewältigt.
Es tut gut, die Kunst des Loslassen zu üben, weil Loslassen unsere Kinder, und auch uns selbst, befreit und erlöst!
- aus dem Buch "...das wir unser Bestes geben" -
Und damit zurück zu oben genannten Beispiel. Die Mutter ist voller Liebe und Sorge um ihr Kind und behindert es damit doch an seinem Streben nach Wachstum, Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit. Würde diese Mutter die genannten Textstelle lesen, würde sie sicherlich sagen, genau so mache ich es doch! Ich ermögliche Selbstständigkeit und wo ich Gefahren sehe, schütze ich mein Kind. Für sie ist das Sofa eine Gefahr! Es ist für sie kein gefahrloser Freiraum, zum Loslassen können. Aber ist dies wirklich so? Für mich ist ein Sofa ein Klacks! Eine wundervolle Erfahrungsmöglichkeit, mit welcher das Kind schon früh üben kann, sich auf sein Körpergefühl einlassen und verlassen zu können. Schon früh zeigte ich dem Herzkind, als er seine ersten Versuche startete, wie man Rückwärts das Sofa herunter rutschen kann. Ich freute mich bei jedem Fortschritt mit ihm, ich freute mich für das Stück Selbstständigkeit, welches er damit erreichen konnte, so dass er hier nicht mehr auf uns Eltern angewiesen war. Ich habe losgelassen und die Verantwortung an mein Kind abgegeben, als ich sah, er kann das, er schafft das!
Natürlich können Abstürze geschehen, sie können nicht verhindert werden. Wir können aber in der direkten Nähe bleiben, wir können auch Kissen auf dem Boden legen, gerade für die anfänglichen Versuche. Lassen wir unsere Kinder gewähren, können sie viele Dinge schon recht früh alleine tun. Kein Kind stürzt sich mit Absicht in die Tiefe, lässt sich auf den Kopf fallen usw. ihr Instinkt leitet sie an. Wenn wir sie nicht unterbrechen oder mit selbsterfülllenden Prophezeiungen belehren, können sich Kinder auf sich und ihr Bestreben konzentrieren und lernen und wachsen.
Es ist schwierig loszulassen, es ist schwierig Ängste zu überwinden und unsere Kinder ihre Schritte und Wege gehen zu lassen. Aber wir müssen es tun! Wir müssen uns genau hinterfragen, was ist wirklich gefährlich und was sehen wir nur in unserer elterlichen Überfürsorge als gefährlich an und behindern damit unsere Kinder? Wir sind Wegbereiter und Helfer, mehr nicht! Unsere Kinder müssen lernen können alleine ihre Wege zu gehen! Legen wir ihnen also keine Steine in den Weg!