Wie ich schon im vorherigen Beitrag erwähnte, hilft mir meine Tochter unglaublich gerne im Haushalt. Sie möchte alles alleine tun, sie will alles nachmachen. Und das ist nicht immer einfach für mich und auch für sie. Denn zum Einen ist es für sie frustrierend, wenn sie Dinge, die sie tun möchte, noch nicht alleine ausführen kann und auch für mich, da ich ihren Frust aushalten muss bzw. auch immer wieder gefragt bin, wie ich es ihr jetzt ermöglichen kann, in ihrem derzeitigen Rahmen mitzuhelfen. Und manchmal, wenn man da so gefrustet ist und ein Tag immer länger und länger zu werden erscheint, aber die Energie und Zielstrebigkeit des Kindes scheinbar niemals weniger wird, braucht es etwas Weitblick von Außen.
Immer wenn ich Fragen habe bzw. Inspirationen/Hilfe benötige, gehe ich auf die Suche. Bücher, Blogs, Foren, Gruppen, Pinterest. Die Auswahl ist schier unendlich. In zwei Büchern wurde ich fündig und es umreißt sehr gut, was ich gerade zusammen mit meiner Tochter erlebe und wie wichtig diese Umbruchzeit nun ist!
Kinder im Alter von fünfzehn Monaten (Anmerkung von mir: Der genaue Zeitpunkt ist natürlich für jedes Kind indviduell), die sicher laufen können, sind jetzt endlich unabhängige Individuen und bereit für eine neue Aufgabe in ihrem Selbstaufbau. Viele Monate, bevor sie anfingen ihre Füße zu gebrauchen, benutzten und übten sie ihre Hände. Jetzt, wo sie laufen können, so Montessori, sind die Hände bereit, "sich zu bilden, wenn ihnen dazu nur Gelegenheite geboten werden". Dies ist ein großer Augenblick für die Eltern. Aber es ist auch einer der zahlreiche Schwierigkeiten birgt.
Montessori ging davon aus, dass ihre Überlegungen zum Gewähren von mehr Freitheit bei gleichzeitiger sorgfältiger Überwachung der Bewegungen der fühnzehn Monate alten Kinder die Erwachsenen zunächst verunsichern oder vor Probleme stellen würden. Aber Montessori bestand darauf: "Dem Kind Freiheit zu geben, es zu beobachten und bereit zu sein ihm zu helfen ist nicht, aber wir müssen darauf vorbereitet sein, all dies zu tun."
Was das Kind in diesem Alter möchte, sind Dinge, die seine maximale Anstrengung erfordern. ... es geht darum "die Umgebung zu erobern". Zu diesem Zweck möchten die Kinder "so schnell wie möglich das tun, wozu sie fähig sind". Während sie vorher lediglich ihren eigenen Körper eroberten, geht es jetzt um die Eroberung der Welt. Es ist kein Wunder, dass ihre Energie und ihre Zielstrebigkeit so grenzenlos sind.
Der erste Schritt der Kinder in Richtung auf dies erweiterte Ziel besteht darin, dass ihnen die Tätigkeiten der Eltern im täglichen Leben neu bewusst werden. Vorher beobachtete das Kind, was seine Eltern taten, jetzt versucht es nachzuahmen, was diese tun.
**Man sollte sich stets bewusst sein, dass ein Kind einen Bewegungsablauf erst genau beobachten muss, bevor es ihn nachahmen kann. Ist ihm das Muster klar, wird es den Bewegungsablauf so lange üben, bis es ihn beherrscht. Wenn der Körper auf diese Art den Anweisungen des Geistes folgt, bereitet das dem Kind großes Vergnügen.
Jede Bewegung wird also zuerst durch Beobachten erlernt und dann nachgeahmt. Kinder neigen dazu, alles nachzuahmen, was sie bei den Erwachsenen in ihrer Umgebung sehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie einfach nur automatisch jede beobachtete Bewegung wiederholen würden; vielmehr wiederholen sie die Bewegung aus dem Drang heraus, so zu werden wie die Erwachsenen.
An diesem Prozess kann man erkennen, wie die natürliche Kraft des Lebens die Kinder in Richtung Selbstentfaltung drängt. Doch diese kann nur mithilfe einer Umgebung gelingen, welche die Entwicklung des Kindes fördert.
Maria Montessori hat erklärt, warum Kinder in den ersten Lebensjahren so sehr darauf drängen, an solchen Alltagsverrichtungen teilzuhaben. Diese Arbeiten erfüllen für sie einen ganz anderen Zweck als für uns Erwachsene: Die Aufgabe des Kindes besteht darin, den Menschen zu schaffen, zu dem es werden muss. Während Erwachsene arbeiten, um die Umwelt zu verbessern, arbeiten Kinder, um sich selbst zu verbessern.
Solche Tätigkeiten sind für die Kinder eine wunderbare Möglichkeit, ihre motorischen Fähigkeiten zu verbessern und gleichzeitig das befriedigende Gefühl zu erleben, mit einer Tätigkeit ein konkretes Ziel zu erreichen. Damit das Kind sich auf diese Weise weiterentwickeln kann, braucht es Raum, nicht nur in physischer Hinsicht, sondern auch Raum, den wie ihm in unserem Leben erinräumen.**
Es ist offenkundig, dass die Eltern, wenn sie das Kind in ihre Arbeiten mit einbeziehen, Tempo und Effizienz ihrer häuslichen Arbeit vermindern. Warum empfahl Montessori - eine sonst so praktisch denkende Frau mit großer persönlicher Leistungsfähigkeit - einen anscheinend so unpraktischen Ansatz für Kinder, die gerade fünfzehn Monate alt sind? Nur aus einem Grund empfahl sie, das Kind zum täglichen Begleiter des Erwachsenen bei diesen einfachen Tätigkeiten im Haus und in der Familie zu machen: aus Respekt vor den Möglichkeiten menschlichen Lebens, wie sie sich im kleinen Kind finden.
Der Grund, Montessoris Gedanke und ihrer praktischen Umsetzung zu folgen, liegt... im Respekt gegenüber dem Kind und dem, was dieses Kind im großen Zusammenhang des menschlichen Lebens repräsentiert. Mit Aufgaben, die in diesem Sinn angepackt werden, und mit Montessoris Beobachtung der Details bei jeder neuen Aktivität haben Eltern überall auf der Welt die Erfahrung gemacht, dass ihre Kinder zu viel mehr in der Lage sind, als sie selbst sich je hätten vorstellen können.
**Wir sollten stehts an die Erkenntnisse denken, die Maria Montessori beim Beobachten von Kindern in einer vorbereiteten Umgebung gewonnen hat, und daran, welche Ziele diese Kinder mit ihrer Arbeit verfolgen. Dann wären wir sicherlich offener dafür, die Hilfe der Kinder anzunehmen und sie an unserer häuslichen Arbeit zu beteiligen.
Kinder beschäftigen sich nicht nur sehr gerne mit solchen Aufgaben des täglichen Lebens, sie verbessern dabei auch ihre Koordination und stärken ihre Selbstsicherheit und ihr Selbstwertgefühl. So nimmt der sich entwickelnde Mensch wichtige Botschaften in sich auf, die ihn auch bei all seinen künftigen Aktivitäten leiten werden: "Ich kann das, ich bin dazu in der Lage, ich bin etwas wert, die Menschen in meiner Umgebung brauchen und schätzen meine Mitarbeit, und ich kann damit die Welt um mich herum verändern."**
Und wenn wir damit also wissen, warum unsere Kinder diese Energie und diese Zielstrebigkeit besitzen, warum sie so motiviert sind und es ihnen ein wichtiges Anliegen ist, uns zu helfen, dann fällt es uns leichter, die Hilfe unserer Kinder anzunehmen, auch an stressigen Tagen, aus Respekt vor den Möglichkeiten des menschlichen Lebens. Den Erbauern ihrer Selbst, den Menschen zu schaffen. Und unser wichtiger Anteil daran.