Auf meiner Facebook-Seite teile ich viele Artikel anderer toller Blogger, in denen es um die Achtsamkeit mit Kindern und allgemein auch die Bedürfnisse von Kindern und den Umgang mit ihnen geht.
Vor kurzem erhielt ich darauf eine Reaktion, in welcher eine Mutter fragte, warum wir Mütterblogs, denn immer wieder auf solchen Themen zurückkommen, denn Mütter, die genau unsere Blogs lesen würden, wüssten ja um die Bedürfnisse ihrer Kinder und wären auch achtsam. Die Eltern, die diese Artikel wirklich lesen müssten, würden diese Artikel garnicht erreichen...
Das mag vielleicht sein, aber ich sehe auch immer wieder an den Reaktionen und Kommentaren meiner LeserInnen, dass auch jedes achtsame und bedürfnisorientierte Elternteil an Grenzen kommt, bei denen es verunsichert ist und nicht mehr weiter weiß. Artikel über genau diese Themen können weiter helfen und einen neuen Blickwinkel eröffnen, der einem in diesem Moment vielleicht verschlossen war. Wie oft haben mir selbst bestimmte Artikel geholfen, nochmals anders über eine bestimmte Situation nachzudenken, sie beim nächsten Mal anders anzugehen und daraus zu lernen. Wie oft erhielt ich Kommentare zu eigenen Artikel, in denen sich Mütter bedankten für meine Worte und das sie sehr wichtig in ihrer jetzigen schwierigen Situation waren.
Ich sehe daher keineswegs, dass diese vielen wundervollen Artikel zu Themen der Achtsamkeit und bedürfnisorientiertem Leben unnötig wären. Sie kommen für viele Eltern immer wieder genau richtig, um darüber nachzudenken, um zu verstehen, um zu lernen. Als Eltern kommen fast täglich neue Situationen auf uns zu, die wir so nicht kennen und über die wir nicht selten auch stolpern. Wir reagieren oft nicht so, wie wir es gerne getan hätten und stecken dann auch mal verfahren und unglücklich fest. Wenn es weder vor noch zurück geht, ist es toll andere Meinungen und Ideen zu lesen. Sie können helfen!
Nun zu meinem Titelthema: Übergriffigkeit!
Sicherlich werden jetzt viele an das Schlimmstmögliche denken. Aber Übergriffigkeit ist nicht gleichbedeutend mit körperlich/sexuellen Übergriffen am Kind bzw. am Menschen, sondern beginnt schon viel früher und oft tun wir dies, ohne das wir uns dessen bewusst sind. Gerade bei Kindern geschieht es häufiger als wir denken und doch tun wir es! Wir sind übergriffig und verletzen damit unbewusst unsere Kinder. Unsere Kinder reagieren darauf sogar meist prompt und doch bringen wir es nicht miteinander in Verbindung.
Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit mit dem Herzkind:
Wir sind im Supermarkt und das Herzkind will sich seine Laugenstangen alleine mit der Zange aus dem Fach herausholen. Dafür muss ich ihn in den Einkaufswagen stellen. Eine Verkäuferin der Wurst-Theke bermerkte das und bot mir an, meinen Sohn wieder aus dem Wagen heraus zuheben, im hochschwangeren Zustand sollte man das ja nicht machen. Ich bedankte mich und erwiderte, dass ich das schon noch schaffe. Die Dame war allerdings so ambitioniert, dass sie darauf nicht wirklich einging und ehe ich mich versah, hob sie das Herzkind schon aus dem Einkaufswagen, unter viel Protest durch ihn. Er wehrte sich und weinte dabei. Ich konnte mit dem dicken Bauch garnicht mehr so schnell reagieren, wie die Situation schon vorbei war. Von der Verkäuferin kam dann "Jaja, die Kinder und ihre Eigenarten..." sicherlich mit dem Hintergedanken, dass sich das Kind aber gerade unnötigerweise so anstellte. Ich erklärte der Dame sofort, dass sie meinen Sohn weder gefragt hat, ob er von ihr herausgehoben werden möchte, noch auf eine Antwort oder Reaktion gewartet hat und man das nicht macht und er nun zurecht weint und verstört ist. Ich erklärte, dies auch meinem Sohn, dass die Frau mir helfen wollte und ihn aber hätte fragen müssen und ich verstehe, dass er nun traurig ist. Die Verkäuferin war sichtlich verwirrt, sie hatte wohl eine andere Reaktion von mir als Mutter erwartet und bot meinem Sohn als Entschuldigung eine Scheibe Wurst an und das sie für das nächste Mal einen Stuhl bereit stellen wird.
Für meinen Sohn war diese Frau nun "böse", er erwähnte es während des restlichen Einkaufes und auch noch den ganzen Abend immer wieder. Diese Frau war "böse", sie hat ihn einfach genommen, obwohl er es nicht wollte.
Das ist ein Beispiel, welches zeigt, wie sehr wir und die Gesellschaft doch noch in alten Mustern steckt, die so oft kleine Kinder noch nicht als vollwertige Personen ansieht und über welche bestimmt werden kann bzw. die eben, weil sie so klein sind, doch noch garkeine eigene Meinung haben können. Die Reaktion meines Kindes zeigt da deutlich ein ganz anderes Bild. Dies wird dann aber gerne mit "Eigenarten" oder "Launenhaftigkeit" hinweg gewischt, anstatt darüber nachzudenken, warum das Kind nun so reagieren könnte.
Im Alltag gibt es hierzu viele weitere Beispiele. Oft ist es die wenige Zeit, die wir uns in so manchen Situationen nehmen und die dann zu einer Eskalation führen können. Wir haben Termine, wollen schnell aus dem Haus und die Kinder müssen nun funktionieren. Wir sind übergriffig, in dem wir ihnen schnell die Klamotten an- und ausziehen bzw. Jacken schließen, Schuhe überstreifen usw. Wir wundern uns dann, sind oft auch verärgert, wenn die Kinder sich dabei wehren, nicht mitarbeiten und sich dadurch alles verzögert. Aber wollen wir denn, dass über uns so bestimmt wird?
Wir übernehmen Handgriffe für unsere Kinder, die diese vielleicht schon längst selbst könnten und wundern uns, wenn sie dann wütend reagieren. Wir nehmen ihnen das Glas aus der Hand, weil wir Angst haben es könnte herunterfallen. Wir lassen sie nicht mithelfen im Haushalt oder beim Kochen, da wir denken, sie sind dafür zu klein oder es würde zusätzliche Arbeit und Dreck machen. Wir sind übergriffig, wir bestimmten!
Wir legen ihnen als Babys Windeln an und geben ihnen einen Schnuller und irgendwann wollen wir darüber bestimmen, wann sie Windel und Schnuller noch brauchen. Wir wollen darüber bestimmen, wann sie in ihren eigenen Betten zu schlafen haben oder das es nun an der Zeit ist, mit Messer und Gabel zu essen und nicht mehr mit den Fingern. Wir werden übergriffig, wir bestimmen!
Nicht jedes dieser Beispiele, trifft auf jede Familie zu. Es sind nur Beispiele, aber ich weiß, sie kommen vor. Sie sind noch regelmäßiger Bestandteil in vielen Familien, Streßfaktoren und Missverständnisse zwischen Eltern und ihren Kindern. Wir Eltern sehen oft nicht, was nun genau das Problem unserer Kinder ist, wenn sie auf diese Übergriffigkeiten zurecht wütend, traurig und empört reagieren.
Wir denken so oft, dass wir doch achtsam und bedürfnisorientiert sind, aber es wird immer Situationen geben, in denen wir es auch mal nicht sind und unsere Kinder uns den Spiegel vorhalten. Wir müssen den Spiegel nur erkennen!
Damit schließt sich mein Kreis und meine Antwort auf den Kommentar einer Mutter, die meinte solche Artikel sind doch unnötig. Solche Artikel halten uns den Spiegel vor, regen uns zum Nachdenken an und werden solange nötig und wichtig sein, wie es solche Situationen in jeder Familie noch geben wird. Sie sind Hilfestellung, keine Verurteilung. Wir sind oft mit ganz anderen Erziehungsweisen groß geworden, die uns triggern und es uns schwer machen, das wirkliche Verhalten unserer Kinder zu verstehen. Übergriffigkeit und auch andere Verletzungen unserer Kinder geschehen oft unbewusst durch uns als Eltern oder auch durch Menschen, wie die oben genannte Verkäuferin. Wir lernen und arbeiten an uns, jeden Tag und ich persönlich freue mich über jeden Artikel, über jede Erfahrung anderer FamilienbloggerInnen, die mir helfen, mein Kind besser zu verstehen.