Jetzt ist es soweit, der Zwerg befindet sich wirklich mitten in der Autonomiephase und mit Ablenken und Versprechen auf spätere Spiele usw. komme ich nicht mehr weit. Jetzt stand ich zunächst da und überlegte. Wie komme ich hier nun weiter?
Und genau hier, holen uns alte Erziehungsmuster oder die eigene erlebte Erziehung oft ein. Ich stehe da, wenn er nicht das möchte, was ich möchte oder unnötig lange trödelt und es brodelt in mir... ich merke wie mein Blutdruck steigt und ich ihm am liebsten meinen Willen aufzwingen möchte. Weil es doch bisher auch immer so problemlos war mit ihm zu sprechen und den Tag zu planen, weil diese neue Situation und der neue Umgang damit mich im ersten Moment überrumpelt und ein wenig überfragt.
Was mache ich denn nun, wenn das Kind einfach auf meine Frage "Nein!" sagt und weiter in seinem Tun macht? Ich will ja nun auch nicht ewig an einem Parkplatz warten, bis er in seinen Kindersitz einsteigen will oder er sich natürlich auch ganz alleine anschnallen möchte. Was bei einem 5-Punkt-System natürlich so seine Tücken hat.... das bekommen ja wir Erwachsene bei unbekannten Kindersitzen nicht sofort auf die Reihe. Da stehe ich nun also, will heim, habe eventuell Druck, den ich verspüre, weil Zuhause noch Arbeit wartet, weil ich eventuell einen anstehenden Termin habe, weil der Parkplatz vielleicht schon vom nächsten Fahrer benötigt wird... wie reagiere ich nun also angemessen?
Wie kann ich die Bettgeh-Zeit sinnvoll gestalten? Wie klappt es, dass der Zwerg nicht generell "Nein!" sagt, wenn es um das Umziehen geht? Wieso muss er erst mal gefühlte Stunden nackig durch sein Zimmer flitzen und würde am liebsten nackig bleiben? Macht er sich einen Witz daraus?
Auch wenn es schwer fällt, die erfahrenen Eltern haben recht! Ruhe bewahren ist zunächst erst einmal das Wichtigste. Also tief durchatmen und nachdenken! Am besten nochmal durchatmen, je nach Streßlevel...
Manchmal findet man nicht sofort die richtige Lösung, manchmal kracht man dann doch aneinander, weil man das Kind falsch verstanden hat, weil es sich nicht ernstgenommen fühlt in der betreffenden Situation.
In diesen beiden genannten Situationen und auch in vielen weiteren, habe ich mich persönlich für das Raumgeben entschieden. Ich warte ab, ich plane entsprechend Zeit ein. Habe ich Termine, habe ich Zeitdruck, beginne ich daher grundsätzlich früher mit Umziehen, Anziehen, Vorbereitungen usw. Das ist wirklich enorm wichtig für mich! Ich habe somit einen Puffer, ich habe ein Zeitfenster und muss nicht hektisch werden und damit automatisch in Streß verfallen, der in Situationen mit Kindern oft zu Fehlverhalten von uns Eltern führen kann.
Zuhause schnappe ich mir mittlerweile grundsätzlich ein Buch. Wenn es um das Umziehen geht, will der Zwerg grundsätzlich erst mal turnen. Wir richten dann die Kleidungsstücke, ich binde ihn ein, er kann sie sich auch selbst aussuchen, woran er meist aber noch kein Interesse hat. Die Kleidung liegt nun anziehbereit und ausziehen geht meist auch noch recht schnell. Dann wird getobt, gehüpft, gerannt, gelacht und ans Anziehen wird nicht gedacht.
Ich nehme mir also mein Buch und setze mich einfach hin und beginne zu lesen. Ich sage dem Zwerg, dass er sich ruhig austoben soll und wenn er dann bereit ist sich umzuziehen, kann er das gerne tun oder mich um Hilfe bitten. Es klappt! Scheinbar merkt er, dass ich mich aus dieser Situation herausnehme, mich davon nicht anstacheln lasse und mein eigenes Ding durchziehe, bis er selbst es möchte, sich anzuziehen. Und das will er dann meist immer sehr schnell. Wenn die Mama Buch liest, kann ich mich nicht mit ihm beschäftigen.
Dadurch lasse ich die Entscheidung bei ihm! Und in so vielen Situationen wie möglich, die unsere Kinder altersgerecht auch selbst bewältigen können, sollten wir wirklich die Entscheidung bei ihnen lassen. Wir müssen uns von dem Bild lösen, dass wir uns tyrannisieren ließen, wenn das Kind entscheidet. Wenn wir nicht die alleinige Entscheidungsgewalt haben, wenn wir auch mal nachgeben. Wir als Erwachsene können die Situationen viel besser überblicken und beurteilen und können daher, wann immer es möglich ist, einfach nachgeben. Nur weil wir nicht sofort den Schlafanzug angezogen bekommen, sondern das Kind entscheiden lassen, heisst das nicht, es hat "gewonnen". Dieser Gedankengang muss aus unseren Köpfen verschwinden. Wir haben hier keinen Erwachsenen vor uns, sondern Kinder. Kinder, die glücklich darüber sein werden, wenn ihre Autonomie wahr genommen wird, wenn sie selbst beachtet und geachtet werden und sie in Entscheidungen mit eingebunden werden.
Diese Möglichkeiten werden uns in vielen Alltagssituationen helfen. So können die Zwerge ein wirklich notwendiges "Nein!" auch von unserer Seite aus akzeptieren. Sie müssen sich nicht künstlich gegen jedes "Nein!" auflehnen, da sie wissen, es gibt genügend Situationen in denen sie selbst entscheiden dürfen.
Ich weiß, dass jedes neue Entdecken des eigenen Ichs, neues Umdenken für uns Erwachsene bedeutet. Wir müssen zusammen mit unserem Kindern herausfinden, wie der Alltag so angenehm wie möglich für alle Familienmitglieder wird. Wir als Elternteile müssen wissen, das unsere Kinder immer zuerst bei uns ihre neuen Fähigkeiten und ihren eigenen Willen testen werden, denn sie wissen, bei uns sind sie sicher und sie werden wertgeschätzt. Wir als Elternteile müssen wissen, das wir mit dem Umgang solcher Situationen den Grundstein für das Sozialverhalten unserer Kinder legen. Wir können beeinflussen, ob sie später grundsätzlich ihren Willen durchsetzen wollen, weil wir auch unseren Willen über sie setzen wollten oder ob sie empathisch in Situationen umgehen, in denen Menschen unterschiedlicher Meinung sind.
Puh! Nicht so einfach für uns Eltern. Denn nun beginnt wieder ein neuer Tag, mit vielen neuen Möglichkeiten. Mit vielen Situationen in denen die Meinungen von uns und unseren Kindern unterschiedlich sein können. Ich werde mich dann an meinen eigenen Text hier erinnern, wenn ich dann wieder tief durchatmen muss...