Susanne von Geborgen Wachsen ruft zur Aktion "Kinder sind unschlagbar!" auf und möchte damit auf ein Thema aufmerksam machen, dass zwar eigentlich sogar gesetzlich geregelt, in vielen Familien aber doch noch allgegenwärtig ist!
Auslöser dieser Aktion war ein Interview mit dem Starkoch Jamie Oliver, der zwar weiß, dass man Kinder nicht mehr schlagen soll bzw. darf, aber irgendwie seiner Tochter doch zeigen wollte, dass ihr Verhalten in seinen Augen nicht korrekt war. Er rieb ihr einen der schärfsten Chili-Sorten auf einen aufgeschnittenen Apfel...
Die Internetgemeinschaft ist sehr geteilter Meinung. Es gibt diejenigen die zurecht geschockt sind über ein solches Verhalten, über den Vertrauensmissbrauch an der Tochter, über die körperlichen Verletzung (denn genau das trifft zu!) und eventueller seelischer Verletzungen. Es gibt aber auch viele, die diese Aktion von Oliver eher als Spaß sehen und ich las sogar einen Kommentar in dem eine Dame meinte "Ihre Tochter ist gerne scharf, sie würde, dass sicherlich nicht schlimm finden..." Also bitte! Wir reden hier von einer der schärfsten Chili-Sorten, nicht zu vergleichen mit den eventuell mal etwas schärfer gewürzten Gerichten die wir aus der allgemeinen Küche kennen. Wieder andere, argumentieren damit "ein kleiner Klaps hat noch niemanden geschadet, mir auch nicht", "Aus mir ist etwas geworden" und "dem ein oder anderen hätte einen Klaps zur Rechten Zeit nicht geschadet, schaut euch an was aus unserer Jugend geworden ist"....
Zurecht ist Susanne also geschockt, über diese vielen verharmlosenden Kommentare von Menschen, die sicherlich auch Familie haben. Von denen sicherlich auch viele schon Eltern sind. Wodurch wir wissen: Auch wenn körperliche und seelische Unversehrtheit unserer Kinder gesetzlich geregelt ist... gesellschaftlich ausgestorben ist das Schlagen noch lange nicht! Für viele ist es scheinbar noch notwendige Erziehung. Nur so lernen die Kinder brav zu sein und zu gehorchen.
Ich selbst kann ein erst kürzlich geschehenes Beispiel dazu nennen:
Über Facebook wurde ich auf ein Video aufmerksam, welches ein "Freund" geteilt hat. Es zeigt eine Art "Supernanny" im Fernsehen. Ein kleiner Grundschul-Junge ist völlig außer sich, er schlägt, tritt, nutzt schlimme Schimpfwörter und zeigt im Grunde absolut asoziales Verhalten. Die Familie ist ratlos und holt sich Hilfe... die angeblich fachliche Hilfe, die die Familie bekommt.... naja... davon möchte ich nicht reden. Mir tat der gezeigte Junge jedenfalls unendlich leid.... was muss in der Familie bisher geschehen sein, dass er so geworden ist... reflektiert er Verhalten, dass er kennt und selbst erfahren hat? Gewalt erzeugt bekanntlich Gegengewalt! Oder versucht er Aufmerksamkeit zu bekommen, die er von seinen Eltern nicht in dem Maße bisher bekommen hat, die er eigentlich bräuchte? Es ist ebenso bekannt, dass Kinder auch negative Aufmerksamkeit suchen, wenn sie sonst keine Aufmerksamkeit bekommen. Lieber fallen sie durch "negative Dinge" auf, als garnicht.... das Video machte mich sehr traurig.
Noch trauriger machten mich die Kommentare zu dem geteilten Video... "dem Jungen gehört mal so richtig eine gelangt, damit er weiß was die Uhr geschlagen hat"... "die heutige Erziehung verweichlicht die Kinder und sie tanzen den Eltern auf dem Kopf rum"... als ich das doch alles nicht so stehen lassen wollte und etwas dazu schrieb, durfte ich mir anhören "das Schläge nicht schaden, dass aus mir (dem Kommentator) etwas geworden wäre" und als krönender Abschluß kam dann noch, die Schlußfolgerung, dass man "sehr gespannt wäre, wann man mich mit meinem Kind im Fernsehen sehen würde".... Ich war nur entsetzt und absolut geschockt! Ich habe geweint!
"Die Schläge haben mir nicht geschadet" Wer hat diesen Satz nicht schon oft gehört? Wer hat ihn vielleicht sogar schon selbst gesagt? Ich heb dann mal die Hand.... ich habe den Satz schon gehört und ich wurde auch in meiner Kindheit geschlagen... und ich empfand es zunächst nicht als schlimm... man bekam es aus seiner Umwelt mit, es wurden soviele andere Kinder auch geschlagen, man hatte ja schon etwas angestellt und hatte den Klaps somit "verdient"... Erst als Mutter hat sich meine Denkweise und meine Meinung zu diesem Thema geändert, erst jetzt kann ich sagen, dieser Satz ist eine ganz klassische Verdrängung einer Tatsache! Es wurde einem Leid angetan, man wurde in seiner körperlichen Unversehrtheit von seinen Eltern verletzt, es ist Körperverletzung und egal in welcher Größenordnung, es hinterlässt Wunden. Denn Gewalt erzeugt Gegengewalt und dies muss sich nicht immer nur um körperliche Gewalt handeln. Worte können gewaltig sein! Worte können ebenso schlimmste Verletzungen verursachen. Seelische Verletzungen, die oft viel schwerer heilen, als jede körperliche Wunde. Worte werden oft vergesssen, wenn es um die Beschreibung von Gewalt geht... leider.... (Meine Geschichte dazu und mein Umgang damit, könnt ihr hier lesen: "Stille Gewalt")
In dem Buch "In Liebe wachsen" fragt der Dr. Carlos Gonzalez den Leser: Welcher Erwachsene würde es dulden, dass ihn sein Chef schlägt, wenn er etwas falsch gemacht hat? Welcher Erwachsene würde es dulden, andauerndem verbalen Mobbing von seinen Kollegen ausgeliefert zu sein? Wer würde dies tun? Wer würde nicht seine Rechte zum Ausdruck bringen und seinen Chef wegen Körperverletzung verklagen und seine Kollegen ebenso? Niemals würden wir uns solches Verhalten gefallen lassen. Niemand will geschlagen werden. Niemand!
Bei unseren Kindern scheint dies anders zu sein! Hier sind wir gefangen in einem Netz von Generationen, in denen Schläge "normal" waren und dies schwingt noch deutlich nach. Wir selbst werden davon getriggert und viele Eltern, die heute noch schlagen, wurden als Kinder selbst geschlagen. Es steckt in einem drin, ganz tief und viele, viele Jahre verborgen... bis man plötzlich selbst Kinder hat. Dann kommen plötzlich Situationen, in denen wir vielleicht schwach werden, in denen etwas in uns aufkeimt, dass bisher verborgen war...Dann stehen wir vor der Entscheidung "haben die Schläge nun geschadet oder nicht?", möchte ich meinem Kind weh tun, möchte ich ihm Leid zufügen? Nehme ich die Folgen in Kauf? Weiß ich um diese?
Und selbst wenn einem die Schläge "nicht geschadet haben".... was ich mir persönlich nicht vorstellen kann, egal ob es in diesem Moment eventuell "eine Lösung" ist oder nicht..... diese Lösung ist ein Bumerang, sie wird zu uns zurück kommen. Ein Arbeitskollege von mir wurde getroffen! Seine Tochter möchte keinen Kontakt mehr zu ihm... auch er hat geschlagen... nicht übermäßig, eben "hin und wieder ein Klaps zur rechten Zeit"... die seelischen Wunden, die seine Tochter davon getragen hat, konnte er nicht absehen.... denn Kinder schlagen war "üblich" und als Erziehungsmethode noch Standard, keiner befasste sich damit, dass dies Folgen haben könnte, schließlich wurden im Grunde alle Eltern, als Kind selbst geschlagen. Ein Teufelskreis!
Heute kennen wir die Folgen, heute wissen wir, was Schläge und Worte mit einer Kinderseele tun können. Der Teufelskreis muss durchbrochen werden! Niemand von uns möchte geschlagen werden! Weder körperlich noch seelisch! Niemand möchte Leid erfahren! Kein Erwachsener und erst Recht kein Kind! Kinder können sich nicht wehren, Kinder sind auf uns angewiesen. Sie wachsen an uns, sie lernen von uns! Wollen wir, dass sie lernen, Gewalt ist eine Lösung? Welche Werte möchten wir ihnen durch unser Handeln und Tun vermitteln?
Wenn ich höre oder lese "Mir haben Schläge nicht geschadet", bin ich immer an dem Punkt zurück zufragen "Bist du dir sicher?" Der Mangel an Empathie und der "Spaß" an der Chilischotengrausamkeit ist für mich ein Beleg, eben genau dafür für einen "Schaden". Ich finde es furchtbar und schrecklich dass wir heute zu tage in der Kinder ein RECHT auf gewaltfreie Erziehung haben, immernoch solche Artikel brauchen.
AntwortenLöschenUnd natürlich kann man Schläge in der Kindheit aufarbeiten, aber würde man dann wirklich sagen, sie haben nicht geschadet?!?!