Sonntag, 18. Oktober 2015

Wohin mit deinen Gefühlen?

Unser Herzkind wächst. Er wächst nicht nur körperlich, er wächst an sich selbst und an den vielen Veränderungen, die im Moment alle gemeinsam auf ihn zu kommen.
Er ist nun ein Kindergartenkind, er lernt dort täglich sehr viel. Nicht nur neue Lieder oder neue Basteleien. Es sind hauptsächlich die sozialen Aspekte, die so neu für ihn sind und auch verdammt anstrengend. Nicht mehr zu 100% im Mittelpunkt zu stehen, warten zu müssen, sich anderen Menschen anzuvertrauen, nicht jede Reaktion der anderen Kinder verstehen zu können. Es ist anstrengend für ihn, sich in diesem neuen Alltag zu finden, seinen Platz darin und alles zu verstehen.
Der Kindergarten-Tag scheint gut zu funktionieren. Er verabschiedet sich mit Küsschen und Umarmung von uns und geht dann zurück in seine Gruppe. Er frühstückt dort, er isst dort zu Mittag, er spielt, er hat Freunde, wie er sagt. Die ganze letzte Woche, habe ich nicht einmal eine Tüte mit Wechselkleidung nach Hause nehmen müssen. Er läuft also rechtzeitig zu seinen Erzieherinnen und geht mit ihnen zur Toilette. Etwas das Zuhause, vertieft im Spiel, oft noch nicht 100% funktioniert, da er den Drang, bis es garnicht mehr geht, beiseite schiebt.

Ich freue mich sehr, wie gut es im Kindergarten klappt, was er mir täglich darüber erzählt, wenn er darüber sprechen möchte und wie er die neuen Lieder vor sich hinsummt und singt. Es wärmt mein Herz, wie groß er geworden ist, wie er innerlich gewachsen ist und wie selbstständig er schon ist. Was dort gut funktioniert, spiegelt sich oft auch Zuhause wieder. "Mama, ich gehe ganz alleine auf die Toilette!" rief er vorgestern aus und tat es dann auch. Einfach so!

Und dann ist da noch das andere Kind in ihm. Nicht das funktionierende Kindergarten-Kind. Sondern das Gefühlskind, dass alle neuen Erfahrungen verarbeiten muss. Der baldige große Bruder, der sieht wie Mamas Bauch wächst und das dieser Bauch, die Mama auch einschränkt. Der Bauch, der Mama daran hindert, ihn hochzunehmen, weil sie abends so müde ist und der Rücken weh tut.

Das Gefühlskind klammert, es ist wütend, es ist traurig, es ist sauer, es weiß in so manchen Momenten garnicht mehr wohin mit diesen ganzen Gefühlen, die da über ihn hereinbrechen und ihn so verzweifeln lassen.

Und da stehen wir als Eltern, die es so garnicht gewohnt sind, ein solches Gefühlskind. Ein Kind das doch immer so logisch dachte und mit dem man immer reden und Lösungen finden konnte. Ja, wir waren gesegnet mit diesem Kind und das wusste ich auch. Ich wusste, irgendwann wird dieses Gefühlskind auch zu uns kommen und uns vollkommend aus der Bahn werfen und das wir uns dann neu ordnen müssen. Mit Argumenten kommt man bei Vulkanausbrüchen nicht weit. Den Vulkan interessiert es nicht, er wütet einfach weiter, unaufhaltsam. Argumente sind nichtig, einzig die komplette Zuwendung kann helfen. Alles stehen und liegen lassen und das Gefühlskind wahrnehmen und ihm immer wieder zeigen, wie wichtig er ist, wie richtig seine Gefühle und das wir ihn immer lieb haben und immer für ihn da sind und er ok ist, so wie er ist.
Es bedeutet derzeit viel Durchatmen, viel innerliches Aufstöhnen, viel Runterschlucken von eigenen Gefühlen. Das Verinnerlichen, dass dieses Gefühlskind soviele Veränderungen mitmacht und dabei doch eigentlich soviel kooperiert. Den ganzen Tag über! Es geht ihm nicht darum, das alles nur nach seinem Willen läuft (gerade der Papa hegt diese Gedanken und ist auch so wütend).

Nein, es geht ihm nicht um seinen Willen. Er ist überwältigt von Eindrücken, von Umdenken, von Anpassen, von Neuerungen.... seine Gefühle überwältigen ihn und müssen raus! Und wo kann ein Kind seine Gefühle am besten rauslassen, wenn nicht bei Menschen, denen er vertraut, von denen er weiß, dass sie immer für ihn da sind.

Ja, es sind derzeit anstrengende Tage. Sehr anstrengend! Es erfordert ein Umdenken, ein Zurücknehmen von uns Erwachsenen, Halt geben, stark sein. Unsere Kinder wollen uns damit nicht ärgern, sondern brauchen uns. In schwierigen Zeiten, in Zeiten des Umbruches, mehr als sie es sonst tun würden.

Mir fällt es sehr schwer! Ich bin normalerweise kein Mensche der sich gut zurücknehmen kann, ich bin jemand der mit seiner Meinung nach vorne brecht, sie zum Ausdruck bringt und klare Stellung bezieht. Aber all das sind Dinge, die nun falsch wären, die in diesen Tagen mit dem Herzkind nichts bringen, weil Gefühle eben nicht immer logisch sind. Die Logik muss ich derzeit oft herunterschlucken. Ich muss den Sturm einfach aushalten und immer wieder herausfinden, was genau ist nun mit dem Herzkind los. Hat er zu manchen Dingen mittlerweile eine andere Meinung entwickelt, wie kommen wir hier zusammen? Oder ist es einfach der Ruf nach ganz viel Zuneigung, weil ihn seine Gefühle überrennen und verarbeitet werden müssen?

Wohin also mit deinen Gefühlen? 
Du hast recht, wir sind dein Puffer! Bei uns sind deine Gefühlsausbrüche richtig, wir müssen dir helfen, mit ihnen klar zukommen. Wir sind deine Eltern und wachsen mit dir!


6 Kommentare:

  1. Toller Text! Und nun stelle Dir bitte das, was Du seit kurzem in voller Wucht erlebst, über 4 1/2 Jahre durchgehend vor. Und das Ankommen eines Geschwisterkindes im Alter von 26 Monaten. Und einen relativ verständnislosen Papa, der auch oft der Meinung ist, das Kind wolle tyrannisieren und müsse in Schranken verwiesen werden. Und mich als hochsensible Mama, der das alles total nahe geht, weil sie ähnlich fühlt wie das Kind, gleichzeitig aber oft nicht weiß, wie sie ihm begegnen soll und auf ihre Versuche auch oft kein positives Feedback bekommt. Das ist unsere Kombination, und es ist emotional so so anstrengend. Den Vulkan haben wir jeden Tag und nie ein Kind, was logisch dachte, sondern von seinen Emotionen permanent überwältigt war. Auch ohne Veränderungen. Das geht oft über die eigenen Kräfte.
    Ich wünsche euch einen guten gemeinsamen Weg!
    Liebe Grüße!

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    1. Hallo du,

      ja, da hast du so recht und wie du geschrieben hast, bin ich sehr froh, dass ich wusste, dass wir bisher ein absolut unkompliziertes Kind haben und eigentlich auch immer noch haben. Diese Gefühlsausbrüche sind ja immer noch "gering", wenn man mal anfangen würde zu vergleichen. Man muss eben nur lernen sich darauf einzustellen, gerade wenn man es bisher nicht gewohnt ist *puh*

      Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft auf eurem gemeinsamen Weg und es ist so schön, dass dein Sohn eine Mutter hat, die weiß was er durchlebt und fühlt. ♥

      Liebe Grüße, Sabrina

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  2. ... Und trotzdem mache ich mir bei einer Mama, die all die Gefühle so einfühlsam beobachtet keine Sorgen, dass sie sich in die richtige Richtung bewegen... ;) hearts;

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  3. Wie gut, dass euer großes kleines Herzkind so liebevoll begleitet und aufgefangen wird. Und wie schade, dass so viele andere Kinder ihre Gefühle unterdrücken müssen oder dafür zurechtgewiesen werden...oder schlimmeres. Danke für diesen gefühlvollen Text und alles, alles Gute für euch! Positiv gesehen ist dann bei Ankunft des Geschwisterchens schon eine Menge "neue Welt" sortiert... ;-)

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  4. Liebe Sabrina!
    Danke für den großartigen Artikel. Unsere Tochter ist generell sehr emotional und temperamentvoll (21 Monate), fühle mich oft sehr gefordert. Aber ich bin auch zu der Erkenntnis gekommen, dass Kinder ihren Gefühlen bei den Menschen freien Lauf lassen, von denen sie sich angenommen fühlen. Ist ja eigentlich logisch... Väter sehen das oft nicht und glauben, das Kind brauche Grenzen. Mit dieser Sichtweise werde ich zu Hause immer wieder konfrontiert. Trotzdem versuche ich auch den Papa zu verstehen... Alles Gute für euch!
    Ganz liebe Grüße,
    Gertraud

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  5. Danke
    Ich sitze hier tränenüberströmt und merke das ich es verpasst habe mich zurück zunehmen!! Vielen Dank fürs aufrütteln.....
    LG

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