Entscheidungen zu treffen gehört zu unserem Leben.
Es gibt große und schwerwiegende
Entscheidungen, die wir oft lange mit uns herumtragen, abwägen und prüfen. Und
es gibt viele kleine alltägliche Entscheidungen, die wir treffen müssen.
Entscheidungen treffen zu können, muss gelernt sein. Wir haben nicht
von Geburt an, die nötigen Erfahrungen dazu, welche Tragweite manche
Erfahrungen haben. Wir mussten mit jeder getroffenen Entscheidung in unserem
Leben lernen umzugehen. Wir machten mit manchen Entscheidungen neue Erfahrungen
und konnten für zukünftige Entscheidungen daraus lernen. Manche Entscheidungen
trugen uns sehr weit und manche Entscheidungen konnten schmerzlich enden. Sei
es physisch, aber auch psychisch.
Um an all diesen Entscheidungen wirklich wachsen können, wirklich richtige
Schlußfolgerungen ziehen und auch wirklich lernen zu können, muss uns von
kleinauf Raum dafür gegeben werden. Und das beginnt schon damit, wenn wir
neugeboren auf der Welt sind. Unsere Bedürfnisse müssen erkannt werden, unsere
Gestik, die Mimik. Ist uns kalt, ist uns warm, haben wir wirklich Hunger oder
sind wir satt. Wollen wir getragen werden, ist uns zuviel Trubel oder sind wir
müde. Es mag so banal klingen!
Doch in dieser Entwicklungsphase sind gerade diese "kleinen, unscheinbaren Dinge" von Wichtigkeit. Sie fordern allerdings eine aufmerksame Gegenwärtigkeit des pflegenden Erwachsenen, denn gerade durch das ständige Üben in einer Vielzahl verschiedener Situationen erlangt das Kind das Vertrauen, dass es Entscheidungen treffen kann. Dieses Vertrauen erhöht sein Lebensgefühl, gibt auch dem Erwachsenen Gelegenheit zum Lernen und Wachsen und bereitet den Boden für harmonische Beziehungen.
Müssen wir uns als Eltern nicht oft Einhalt gebieten, nicht über die Köpfe
unserer Kinder über jede kleinste Kleinigkeit zu entschieden? Es ist heiß
draußen, also können sie nicht den Schal, die Mütze und die Handschuhe anziehen
und diskutieren mit ihnen darüber. Die Kinder weinen vielleicht, schreien, sind
wütend, wehren sich vielleicht sogar. Und am Ende gehen sie vielleicht wirklich
ohne Schal, Mütze und Handschuhe nach draußen. Aber was haben sie dabei
gelernt? Das ihre eigene Entscheidung nicht zählt? Das sie als Mensch nicht
wahrgenommen, gehört und in ihren Entscheidungen akzepziert werden? Das es eben
doch wirklich heiß ist und sie begonnen hätten mit ihrer Kleiderauswahl
zuschwitzen und Schal, Mütze und Handschuhe dann doch abgelegt hätten? Das sie
eine wichtige Erfahrung gemacht hätten?
Es ist ein kleines Beispiel, aber man sieht was in dieser Kleinigkeit alles
steckt, für die Entwicklung des Kindes! Und dies ist auf so viele Dinge im
Alltag mit Kindern übertragbar.
Zum Menschen heranreifen, heisst aber -im gleichen Prozess, in dem alle anderen Fähigkeiten sich heranbilden - lernen, Entscheidungen zu treffen. Die Art der möglichen Entscheidungen hängt vom Reifestadium des heranwachsenden Menschen ab, doch der Akt des Sich-Entscheidens ist in seinem Kern der gleiche beim jungen wie beim reifen Menschen.Wie jede organische Funktion muss auch die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen, einem inneren Plan entsprechend aufgebaut und gestärkt werden. Und wie bei allen Funktionen des Organismus ist die Entwicklung nur dann zufriedenstellend, wenn die Umstände den Prozess begünstigen. Ist dies nicht der Fall, verkümmern selbst die besten Anlagen. Auch hier verblüfft uns wieder das Ineinandergreifen von inneren und äußeren Bedingungen. Der kleine Mensch braucht als günstige Umstände, um innerhalb seiner eigenen Grenzen Entscheidungen treffen zu können.
Geben wir unseren Kindern als nicht die Möglichkeit zur rechten Zeit
bestimmte Entscheidungen für sich treffen zu können, kann sich dies negativ auf
spätere Entscheidungen auswirken. Zum Beispiel, warum sie sich vielleicht zu
Menschen hingezogen fühlen, die ihnen jegliche Entscheidungen abnehmen, da sie
es selbst nie gelernt haben oder in sich selbst oder ihrer äußeren Umgebung
Ordnung zu schaffen, da sie zulange diese Erfahrungen nicht machen konnten, wie
es ist sich zu entscheiden warum Ordnung sinnvoll sein kann.
Aber wann ist der richtige Zeitpunkt? Wann kann ich mein Kind, welche
Entscheidungen treffen lassen? Ich glaube diese Fragen stellen wir uns als
Eltern täglich. Sicherlich haben wir auch noch oft so ein kleines Stimmchen im
Hinterkopf: "Das kann mein Kind doch noch garnicht entscheiden. Dafür ist
es zu klein!" Aber ist das nicht vielleicht sogar die Stimme aus unserer
Vergangenheit? Die wir selbst so oft als Kind haben hören müssen, wenn wir
etwas tun und entscheiden wollten?
Die Fragen pauschal beantworten zu können ist schlicht und einfach nicht möglich!
Denn dafür ist jedes Kind einfach zu individuell. Jedes Kind hat andere Voraussetzungen,
entwickelt sich anders. Bei dem Einen früher und bei dem Anderen später. Wenn
ich sage, dass meine Tochter mit ihren 18 Monaten schon frei entscheiden kann,
ob sie alleine die Treppen hoch oder runter laufen möchte, dann gilt das nur
für meine Tochter und der Tatsache, dass sie dafür schon ausreichend motorische
Fähigkeiten entwickelt hat. Ein Kind das erst spät krabbeln und/ oder laufen
gelernt hat oder vielleicht eine Körperbehinderung hat, auf dieses wird das was
meine Tochter tut nicht zutreffen können. Es kann diese Entscheidung mit 18
Monaten alleine die Treppe zu nutzen nicht übernehmen. Dies müssen die Eltern
noch tun. Dafür ist es aber vielleicht schon so reif, sich dafür zu entscheiden
alleine spielen zu wollen und sich selbst zu beschäftigen. Hier müssen wir dann
auch als Eltern diese Entscheidung akzeptieren und die Kinder ihr Spiel spielen
lassen. Ein Einmischen kann den Spielfluss unterbrechen. Ein Einmischen,
welches besagt, dass das Kind "nicht richtig" spielen würde, kann die
Entscheidung des Kindes beeinflussen oder auch zu Streit führen.
In diesem beständigen Bemühen, das Kind in seinem Verlangen nach Erlebnissen einzudämmen oder zumindest anzuleiten oder umzuleiten, werden nicht nur ungeheure Kräfte - die des Kindes und der Erwachsenen - vergeudet. Wir beschwören damit auch Missmut und Spannungen herauf, die uns das Zusammenleben mit Kindern schwermachen.
Ich muss jeden Tag aufs Neue meine Kinder ganz genau beobachten und ihre
Entwicklungen erkennen. Ich muss jeden Tag ein kleines Stückchen mehr
loslassen, wenn ich erkenne, sie sind dafür soweit. Ich darf mich nicht aus
falscher Vorsicht heraus, vor mein Kind stellen und ihm wichtige Erfahrungen,
die bei späteren Entscheidungen helfen können, nehmen.
Hand in Hand mit dieser respektvollen Haltung in der Pflege des Kindes geht das Verständnis, dass sich das Kind Stück für Stück seine Selbstständigkeit zusammen mit körperlichen und mentalen Strukturen aufbaut.
Diese Entwicklung verläuft beim menschlichen Kind nur dann glücklich, wenn es durch seine wachsenden Fertigkeiten allmählich für sich selbst sorgen kann und damit immer unabhängiger wird. Außerdem braucht das Kind gleichzeitig das Erleben von Zusammensein und Kooperation und die Freiheit , in seinen Handlungen zu experimentieren, die Dinge nicht nur auf eine bestimmte Weise zu tun, sondern immer neue Varianten auszuprobieren.
Unsere Kinder werden irgendwann erwachsen sein und um handlungsfähige Erwachsene
sein zu können, müssen sie lernen eigene Entscheidungen zu treffen und das von
Anfang an. Für uns Eltern ist das nicht immer leicht, denn natürlich wird nicht
alles direkt so funktionieren, wie es unsere Kinder möchten und einige Male
werden wir uns dabei auf die Zunge beißen müssen und denken "Hab ich doch
gesagt! und wir werden Frust- und Wuttränen ob der Fehlversuche trösten müssen.
Und auch das gehört dazu, bei der Findung von Erfahrungen. Bei Entscheidung, um
Entscheidung.
Sicherlich werden jetzt einige von euch nach dem Lesen dieses Artikel
denken: "Was soll ich denn noch alles machen? Soll ich meine Kinder alles
entscheiden lassen? Dann komme ich ja zu nix! Und soll ich es auf die Straße
rennen lassen, wenn es das so entschieden hat?"
Nein, wie schon in den Zitaten von Rebeca Wild aus ihrem Buch* "Freiheitund Grenzen - Liebe und Respekt" beschrieben, kommt es immer auf das Kind
und seine aktuellen Fähigkeiten und Reife an, in wie weit ich es schon
entscheiden lassen kann. Es soll ein Denkanstoß sein in täglichen Situationen noch
genauer hinzuschauen. Wenn wir uns vielleicht selbst wieder sagen hören
"Nein, das kannst du noch nicht." oder "Das geht aber
anders." Halten wir uns einmal zurück, beobachten wir und schauen zu (wenn
keine Gefahr besteht!) und wir werden oft sehen, was wir nicht denken zu sehen.
Unsere Kinder sind zu mehr fähig, als wir ihnen oft zutrauen!
*Alle hier aufgeführten Zitate stammen aus oben genannten Buch. Der Link zum Buch ist ein Affiliate-Link.
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