Mittwoch, 15. April 2015

Es ist nichts passiert... oder doch?

Kinder fallen oft hin. Sie schätzen ihr Körpergefühl noch falsch ein, sie überschätzen sich, sie testen sich und ihre Grenzen aus. Das sie dabei hinfallen, umknicken, sich irgendwo anrennen, den Kopf stoßen usw. gehört eigentlich zum Alltag. Den Satz den unsere Kinder dabei wohl am häufigsten hören müssen ist "Es ist nichts passiert! Alles ist gut!" Eventuell noch mit dem Zusatz "Aufstehen und weitergehen"...

Wieso nehmen wir unseren Kindern eigentlich ihre eigenen Gefühle? Wieso behaupten wir, es wäre nichts passiert?
Ist ein Sturz nichts? Ist ein Hinfallen nichts? Oder gar ein Anstoßen? Sind die Gefühle unserer Kinder nichts? Wieso sollen sie diese unterdrücken und über sie hinweg sehen? Als wäre nichts passiert? Aber es ist doch etwas passiert? Oder nicht?
Möchte ich wirklich das meine Kinder in ihren Gefühlen abstumpfen? Das sie ihre Gefühle und ihre Körperempfinden irgendwann nicht mehr als richtig wahrnehmen und sie vielleicht sogar ignorieren? Weil sie gelernt haben, dass das, was ich empfinde, was mir gerade weh tut, das stimmt garnicht? Das bilde ich mir vielleicht sogar ein? So sagen es jedenfalls die Erwachsenen.... es ist ja nichts passiert...

Wieso kann ich es nicht wahrnehmen, als das, was es ist? Mein Kind ist gestürzt, umgeknickt, hat sich angestoßen usw.... warum ist meine erste Frage, meine erste Reaktion nicht? "Geht es dir gut?" und widme mich meinem Kind, bis ich eine Reaktion oder eine Antwort erhalten habe.

Meist stehen sie dann auf, fühlen sich beachtet und können somit den Schreck, der es in den meisten Situationen erst mal nur war, viel besser verarbeiten. Wenn sie wissen, sie könnten jetzt zu einem kurzen Trösten zu Mama, Papa usw. laufen und ihre Empfindungen werden beachtet. Das hilft ihnen!

Kinder spielen nicht von Anfang an "Schauspiel", wenn es um solche Unfälle geht oder "übertreiben", wie wir es Erwachsene dann gerne sagen. Die meisten Kinder merken nur dann, dass sie bei großen Schreien, Schmerzensschreien, dann die meiste Aufmerksamkeit bekommen... oft gehen viele "Es ist nichts passiert..." vorraus, bei denen das Kind die wichtige Aufmerksamkeit nicht erhalten hat. Aber wenn es viel weint und schreit, dann schon...

"Stell dich nicht so an...." Möchten wir das hören, wenn es uns nicht gut geht? Wenn wir eigentlich über Dinge reden wollen, die uns bewegen? Wenn wir Zuspruch oder Trost brauchen? Stell dich nicht an.... ist doch nichts passiert... dir gehts gut, du hast ein Dach über dem Kopf usw..... anderen geht es schlechter.... ich denke nicht, dass irgendjemand sowas hören möchte, wenn er sich vertrauensvoll an den Partner, die Eltern oder beste Freunde wendet.

Und auch unsere Kinder wollen nicht hören "Das nichts passiert ist!" Sie wollen sich und ihre Gefühle, ihren derzeitigen Zustand geachtet und beachtet wissen. Sie werden mit der Zeit, dann ihre eigenen Gefühle einschätzen können. War das nur der Schreck, der mir in die Knochen gefahren ist und renne ich gleich weiter oder geht es mir wirklich schlecht? Wenn ich meinen Kindern aber ihre Gefühle abnehme, können sie das nicht lernen. Es wird schwerer sein ein gesundes Körpergefühl zu entwickeln, wenn ich meine Gefühle "weggeredet bekomme".

Worte können fiel ausrichten und auch diese für uns belanglosen, dahin gesprochenen Sätzchen. Mit denen wir denken, dass wir unseren Kindern helfen, die Situation einzuschätzen... aber wie können wir einschätzen, ob ihnen wirklich nichts passiert ist? Ob ihnen nichts weh tut, ob sie Trost brauchen?

Einschätzen kann das nur ganz alleine mein Kind! Lassen wir unser Kind reagieren und uns sagen, ob wirklich nichts passiert ist oder vielleicht auch doch?!

Klettern - Grenzen austesten - den eigenen Körper und das Körpergefühl kennen lernen und erlernen. Das ist Alltag, das geschieht jeden Tag und oft kommt es auch zu Schrammen und blauen Flecken... dann ist etwas passiert!

9 Kommentare:

  1. Danke für diesen schönen Artikel Ich ärgere mich auch immer wieder darüber, wenn ich sehe, dass Kindern ihre Gefühl abgesprochen werden. Oder wenn ich z. B. nach einem Sturz mit meinem Kind spreche und einer der anderen Erwachsenen sagt: "Das tut doch gar nicht weh!".
    Ich frage meine Kinder: "Tut es sehr weh?" "Kannst du es aushalten?" oder Ähnliches.
    Das gilt für mich übrigens auch beim Arzt, z. B. beim Impfen. Kind fragt im Wartezimmer, ob das weh tut. Mutter verneint. Später hört man dann die Schreie des Kindes aus dem Sprechzimmer...
    Ich habe es immer so gehalten, dass ich den Kinder erklärt habe, dass es kurz weh tut, dass man das aber aushalten kann. Am besten machen die Geschwister oder ich es vor. Das hat bisher immer geklappt.

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  2. Ein Thema aus meiner Kindheit, das mich bis heute verfolgt. " Das tut doch nicht weh" sagte meine Mutter ständig, auch wenn sie uns (liebevoll) geknufft hat und kleine blaue Flecken hinterher zu sehen waren. Blöd, wenn erst aufgehorcht wird, wenn Blut fließt. Man kann Kinder auch dazu bringen, sich weh zu tun, wenn sie Aufmerksamkeit einfordern wollen. Dass wir das bei unserem Kind anders machen wollen, scheint klar. Doch trotzdem fällt es manchmal schwer sich v.a. vor anderen zu behaupten, die da als Fremde auf dem Spielplatz rufen "der hat sich nichts getan". Gefragt haben sie ihn schließlich nicht. Wir wollen ja auch, dass er zu uns kommt, wenn der Schuh drückt, egal obs ein blaues Knie ist oder Ärger mit irgendwem, der ihn psychisch belasten könnte. Denn er weiß schon jetzt, dass wir ihn ernst nehmen, aus einer Mücke keinen Elefanten machen, aber auch aus einem Elefanten auch keine Mücke!

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  3. Dieses Thema bewegt mich auch immer wieder, weil ich eine Mama bin, die die Gefühle ihrer Kinder anerkennt und diese nicht nivelliert durch Aussagen wie "Ist doch gar nicht so schlimm!". Ich möchte, dass meine Kinder eine gute Körperwahrnehmung bekommen und gleichzeitig Stress- und Schmerzbewältigungsstrategien lernen, und das beginnt damit, die Gefühle erstmal wahrzunehmen. Deshalb fange ich meine Kinder auch immer erst in ihrem Schmerz auf, frage nach, wo es weh tut, was genau passiert ist (und zwar so, dass ich zwei wahrscheinliche Auslöser nenne und sie nur noch antworten müssen, welche zutrifft, aber sie schärfen dadurch ihre Wahrnehmung für die Auslöser). Ich habe auch als Kind darunter gelitten, wenn kein Schmerz - weder physisch noch seelisch - anerkannt wurde, und möchte das gern besser machen. Es gelingt mir ganz gut. Schwierig finde ich nur, wenn z.B. mein Mann, die Großeltern oder Freunde immer wieder in das Muster "Das tut doch gar nicht weh" fallen. Wie soll ich dann meine Kinder auffangen, wenn ihnen so begegnet wird, wie ich es nicht möchte? Wie machst Du das?
    Liebe Grüße!

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  4. Super geschrieben!
    Ich lege auch sehr viel Wert darauf, dass eben NICHT alles mit "Ist ja gut/Tut ja gar nicht weh/Ist ja nichts passiert" abgetan wird. Es IST etwas passiert. Punkt.
    Du hast sehr treffende Worte dafür gefunden! ��

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  5. Ich stimme dem Artikel im Grunde zu, habe aber ein spezielles Problem: Mein Kind leidet unter Affekt-Krämpfen u.a. auch wenn es sich wehtut. Leider ist es so, dass sie diese Anfälle je nach Tagesform bekommt und zwar manchmal, wenn sie sich wirklich sehr wehgetan hat, aber an anderen Tage reicht ein leichter Rempler oder ein auf dem Po pumpsen schon aus, dass sie sich so sehr aufregt, dass sie keine Luft mehr bekommt. Nun habe ich in meiner Verzweiflung auch ausprobiert, das Geschehen mit "ist nicht so schlimm" herunterzuspielen und siehe da, sie scheint damit weniger Anfälle zu bekommen bzw. wir bekommen damit oft noch mal die Kurve bevor sie umkippt. Und jetzt? Mir bleibt nur die Wahl zwischen runterspielen.. oder Affekt-Krämpfe riskieren.. irgendwelche Lösungsvorschläge?

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    1. Ich denke auch, Du kennst Dein Kind am besten und wenn es sich so beruhigt, ist es doch super. Und bestimmt ist es von der Atmosphäre her etwas anderes, dem Geschehenen die Bedrohlichkeit zu nehmen, als von vornherein abzutun, nix passiert, weiter geht's.

      Vielleicht hilft es, kurz zu beschreiben, was Deiner Meinung nach passiert ist "Du bist auf den Po geplumpst/jemand hat Dich leicht angerempelt" und dann zu sagen, "ist nicht schlimm" oder "es sah nicht so schlimm aus, alles okay?", "ich bin bei Dir", irgendwas in der Art? Wenn Du meinst, sie braucht diese Versicherung "es ist nicht schlimm" sofort, dann würde ich das sagen und aber immer kurz hinterherschieben, was Deiner Meinung nach passiert ist, damit Du eben nicht so tust, als sei "nichts passiert".
      Nur eine Idee...

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  6. Hallo,

    ich glaube solche besonderen Fälle, benötigen auch immer besondere Umgangsweisen.
    Du kennst dein Kind, du merkst, dass sie deine Hilfe benötigt, um eine Situation einschätzen zu können.
    Vielleicht merkte sie bei dir bisher auch immer eine Angespanntheit, die du nun selbst mit "Ist nicht so schlimm" besser zurückhalten kannst, was ihr dann wiederrum auch hilft.
    Vielleicht liegt es also weniger an dem verwendeten Satz, sondern an der Grundstimmung im Satz, an der Tonierung, was du damit vermittelst?
    Das ist nur eine Überlegung, wichtig ist grundsätzlich immer für das Kind, dass man bei ihm ist und das bist du ja, weil du genau schaust, ob es wirklich nicht schlimm war oder sie eventuell doch in die Krämpfe übergeht.

    Liebe Grüße, Sabrina

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  7. Danke für den Artikel, ich ärgere mich auch immer über diese Sätze, die ja meist gar nicht böse gemeint sind - die Leute merken gar nicht, wie respektlos sie eigentlich sind.
    Man sollte immer mal überlegen, ob man das auch beispielsweise seiner Schwiegermutter, die gestolpert und hingefallen ist, entgegenpfeffern würde.

    Ich versuche immer kurz zu beschreiben, was ich gesehen habe, frage nach, und wenn ich glaube, meinem Sohn (eineinhalb) tut nichts besonders weh, aber er ist trotzdem durcheinander, sage ich so etwas wie "Du hast Dich erschreckt, oder? Ja, wenn man plötzlich auf dem Boden liegt, erschreckt man sich manchmal. Wollen wir zusammen aufstehen?" Klappt für uns ganz gut und ich habe nicht das Gefühl, dass er so nach Aufmerksamkeit sucht - die bekommt er nämlich auch sonst.

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  8. Grundsätzlich stimme ich dir zu! Auch ich finde, dass das Kind in solch einem Fall erst einmal getröstet und ernst genommen werden sollte. Allerdings glaube ich, dass viele Leute (Mütter, Väter, Großeltern,...) ihren Kindern deswegen vorschnell "Ist doch nicht so schlimm" zurufen, um ihnen vielleicht zu vermitteln, dass ein kleiner Sturz nicht der Weltuntergang ist. Meiner Meinung nach kann man Kinder mit einem völlig überdrehten "Ach du liebe Güte, was ist denn da passiert? Sollen wir den Notarzt rufen?" (mal überspitzt gesagt) auch zum anderen Extrem führen und sie damit eher verunsichern. Aber wie gesagt, grundsätzlich halte ich auch nichts davon, dem Kind sein Empfinden vorwegzunehmen. Schon gar nicht mit Sätzen wie "Ach quatsch, das tut doch gar nicht weh!"
    Viele Grüße
    Christine

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