Sonntag, 22. März 2015

Ist Erziehung heute schwieriger?

Gestern Abend stolperte ich über ein Zitat in Facebook, welches ich sehr einleuchtend fand und doch war es mir zu knapp. Kann das Nachdenken und Wählen dürfen, alleine die Kindererziehung soviel schwieriger gestalten, als sie noch zu unserer Kinderzeit war?

Ist Erziehung heute schwieriger ist als früher? Es ist schwieriger, weil wir jetzt nachdenken dürfen und wählen müssen.

- Jesper Juul-

Ich denke, nachdenken durfte der Mensch schon immer, die Zeiten haben sich allerdings geändert. Nachdenken wird nun auch gefördert! Noch zu Großmutterszeiten sollten alle gleich sein, alle sollten eine Linie fahren. Niemand wollte durch Andersartigkeit auffallen und damit zum Gesprächsthema bei den Nachbarn oder gar im ganzen Ort werden. Mit den Jahren verschwamm diese "Gradlinigkeit", immer mehr Menschen zeigten öffentlich was sie von diesem Einheitsbrei hielten und lebten anders. 
Das heisst, heute wird auch gelebt worüber man nachdenkt und man wählt für sich selbst, wie man leben möchte und natürlich auch, wie man erziehen möchte!

Neue Wege gehen

Viele von uns waren mit der eigenen Erziehung durch unsere Eltern unzufrieden oder sehen sie in der heutigen Zeit einfach für veraltet an. Wir suchen daher fast alle, wenn wir eigene Kinder bekommen und haben, neue Wege. Einen Weg, den wir für richtig ansehen. Das gab es natürlich schon zu den Zeiten unserer Eltern. Auch diese wollten anders erziehen, als deren Eltern, aber es fehlte eine Komponente. Das Internet und die Vernetzung! Wo es zu Zeiten unserer Eltern vielleicht eine handvoll Ratgeber zum Thema Schwangerschaft und Kindererziehung gab, gibt es heute meterlange Regalreihen, die unter der lasst des "Fachwissens" von ganz vielen verschiedenen Autoren ächzen. Zu jeder Meinung, ob sie nun richtig oder falsch ist, denn das ist oft auch Ansichtssache, wird sich ein Ratgeber finden lassen!
Es ist für uns also unheimlich schwer geworden, aus dieser Vielfalt, den Weg zu finden, den wir als richtig ansehen. Auf unsere Intuition können wir uns leider nur sehr beschränkt einlassen. Denn Intuition erstellt sich aus gemachten Erfahrungswerten. Unser sogenanntes Bauchgefühl ist schon lange nicht mehr dieses des Steinzeitmenschen, sondern sind die Erfahrungen, die wir seit Kindheit gemacht haben. Daher kommt es doch sehr oft vor, dass sich Erziehungsstile unserer Eltern bei uns wieder finden, die wir eigentlich so garnicht anwenden wollten. Wir wenden sie "aus dem Bauch heraus" an. 
Das Problem unserer neuen Wege ist oft, dass wir sie meist alleine gehen und sie vor uns auch noch nie jemand gegangen ist. Wir treten in keine vorhandenen Fußspuren, es gibt niemanden den wir um Rat fragen könnten. Und statt dann Unterstützung zu bekommen, werden wir oft nur belächelt, vielleicht sogar ausgelacht und das wir an unserer Situation selbst schuld sind, wie sie nun ist. Ja, das macht Erziehung bzw. die Beziehung zu unseren Kindern defintiv schwieriger als noch zu vergangenen Zeiten! 

Keinen Clan

Das Sprichtwort "Um ein Kind zu erziehen, benötigt es ein ganzes Dorf" wird immer schwieriger anzuwenden. Viele Familien ziehen durch den Job in weit entfernte Städte und die eigenen Eltern und die Verwandschaft sind in keiner greifbaren Nähe mehr. Auch die Liebe selbst führt heute oft dazu, dass man von seiner Heimat wegzieht. Durch das oben genannte Internet und die Vernetzung finden wir heute zu Partner, die wir früher garnicht gefunden hätten. Früher verblieben alle in direkter Umgebung ihrer Familie, weit schaffte man es auch nich weg, wieso sollte man auch weiter wegziehen? Es gab Jobs in direkter Umgebung, die Familie war in direkter Umgebung und durch die hohen sozialen Interaktionen (die es heute auch aufgrund des Internets kaum noch gibt), fand sich auch ein Lebenspartner im direktem Umfeld.
Ohne Clan allerdings ein Kind zu erziehen, ist oft nicht sehr einfach. Hinzu kommt noch die deutlich höhere Rate der Alleinerziehenden, die es zu Zeiten unserer Eltern in diesem Umfang garnicht gegeben hat. Wer einen Partner hat, der beruflich oft weg ist, kann es sich ansatzweise vorstellen, welche Zusatzbelastung das ist, komplett alleine mit Kindern zu sein. Ja, ich denke auch das kommt hinzu, wenn wir heute davon sprechen das Erziehung schwieriger geworden ist. Ohne Clan und vielleicht auch alleinerziehend macht es den Umgang und den Alltag mit Kindern sicherlich nicht einfacher!

Streß

Es ist niemandem unbekannt, dass der Streßlevel jedes einzelnen sich in den letzten Jahren deutlich erhöht hat. Die hohe Rate der Burnout-Diagnosen spricht auch dafür. Das Arbeitspensum, die Versorgung der Kinder, die tägliche Rotation alles unter einen Hut zu bekommen und vielleicht sogar noch Angehörige die gepflegt werden muss, sind teilweise kaum zu bewältigen und nicht wenige kommen damit täglich an ihre Belastungsgrenzen.
Ist es aber wirklich immer nur Streß der von Außen auf uns hereinbricht oder machen wir uns viel Streß auch selbst? Können wir uns in einigen Bereichen unseres Lebens nicht auch entschleunigen? Können wir versuchen einen Weg zu finden, mit Streß besser umzugehen? 
Wenn wir den Streß der Arbeit mit nach Hause nehmen, fällt es und direkt schwerer bei Konflikten mit unseren Kindern ruhig zu reagieren und ruhig zu bleiben. Der Streß setzt sich dadurch automatisch fort und bauscht sich immer weiter auf. Da wir alle für uns selbst verantwortlich sind, können wir den entstehenden Streß nicht alleine auf Fremdbestimmungen abwälzen. Wir sind für uns alleine verantwortlich und somit müssen wir Sorge tragen, Streß bewältigen zu können und ihn nicht durch unseren kompletten Altag hindurch zu tragen. 
Streß bringt Konflikte. Streß erschwert die Erziehung und die Beziehung zu unseren Kindern. Die Welt dreht sich immer schneller und wir wollen uns im gleichen Tempo mitdrehen... unsere Kinder drehen sich aber immer noch gleich schnell.

Unser hoher Anspruch an uns

Oft führt der hohe Anspruch an uns selbst zu dem entstehenden Streß. Wir wollen besser sein als der Kollege, wir wollen auch als Mutter noch die Leistungen erbringen, die wir vor der Elternzeit erbracht haben. Wir wollen die perfekten Eltern sein! Wir wollen trotz Erkältung oder Grippe alles erledigen können. Wir wollen Arbeit, Kind, Alltag, Hobby, Familie bewältigen können und alle zu gleichen Teilen. Niemand soll zurückstecken, alles soll in seinen gewohnten Bahnen verlaufen, nichts soll sich mit Kind ändern. Das dies so nicht sein wird, sollte eigentlich jedem von uns klar sein. Das der Haushalt dann eventuell nicht mehr so tiptopl blitzen kann, eigentlich auch... wir müssen bei sovielen Doppelbelastungen austarieren, was uns wirklich wichtig ist und was eben zurückstecken kann und damit müssen wir lernen umzugehen. Alles zu schaffen, ist vielleicht eine Weile möglich, aber auf Dauer? Ich erinnere hier gerne an die steigende Rate der Burnouts...

Der richtige Zeitpunkt

Für viele von uns gibt es DEN richtigen Zeitpunkt zum Kinderkriegen. "Wenn wir eine Festanstellung haben", "Wenn wir endlich verheiratet sind", "Wenn wir unser Traumhaus haben", "Wenn ein gewisses Kapital auf dem Konto ist".... Wenn, wenn, wenn... der Zeitpunkt schiebt sich dadurch immer weiter nach hinten, ungewollt, aber unsere hohen Ansprüche hindern uns daran.
Mein Arbeitskollege erklärte mir das schon vor vielen Jahren, denn auch ich hatte diese Ansprüche und erklärte ihm, was ich alles erledigt haben wollte, bevor ich an das Kinderkriegen denken würde, bzw. ich nannte ihm meine Erklärung dafür warum es in Deutschland so wenig Kinder gab: Politik, Kinderfeindlichkeit unseres Landes und und und... Nein, erklärte er mir, es liegt daran, dass es nie einen richtigen Zeitpunkt geben wird!
Ja, er hat recht! Jetzt weiß und verstehe ich es! Wir brauchen nicht zu denken, dass durch den "richtigen Zeitpunkt" alles insgesamt leichter werden wird. Die Erziehung unserer Kinder wird dadurch nicht leichter, dass wir ein Haus haben und verheiratet sind. "Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen" ist ein weiteres Sprichwort, welches uns zeigt, dass wir nichts planen können! Mit Kindern kann man ohnehin nichts planen. Sie werden nie so sein, wie wir uns wünschen. Es sind eigene kleine Persönlichkeiten, mit eigenem Kopf, mit eigenen Wünschen, die wahrgenommen und geachtet werden wollen. Wir werden immer, immer in unserem Leben Kompromisse eingehen müssen! 

Fehlende Einrichtungen und die Politik

Natürlich gibt es Fremdeinwirkungen, die unseren Alltag erschweren. Die Politik hat derzeit defintiv andere Vorstellungen als wir es von einer Familie haben. Die Politik hat schon vor Jahren erkannt, dass Mütter effektive und wertvolle Arbeiter sind und damit die Wirtschaftlichkeit steigern, wenn sie denn früh wieder arbeiten gehen. Dieses Potential soll nicht ungenutzt sein. 
Viele Mütter wollen aber eigentlich garnicht so früh wieder arbeiten gehen und tun es dann doch. Zum einen, weil durch die heutige Schnelllebligkeit der Wiedereinstieg in den Job erschwert wird und zum anderen, weil ein Lohn heute kaum noch ausreichend ist um eine Familie zu ernähren bzw. bestimmte Lebensstile zu erhalten. 
Aber wo sind die Einrichtungen, die die Kinder der früh wieder arbeitenden Mütter betreuuen sollen? Den Streß den sich viele Familien dadurch machen ist enorm. Hinzu kommt das Pendeln, das genaue Planen der Bring- und Abholzeiten, die oft nicht mit den beruflichen Belangen konform laufen. In meiner Kindheit konnten viele Mütter problemlos (jedenfalls hier im Westen) noch zu Hause bleiben bzw. der Clan war vorhanden. Die Kinder wurden von der Mutter oder den Großeltern zu Hause betreut, vor 3 Jahren ging kein Kind in den Kindergarten bzw. vor 3 Jahren gab es überhaupt keine Fremdbetreuung. Über solche Dinge, wie Fremdbetreuung und die Organisation dahinter musste sich zu meiner Kindheit kaum eine Familie Gedanken machen.

Es gibt sicherlich noch viele weitere Faktoren, die Erziehung heute "schwieriger" machen als dies "früher" vielleicht der Fall war. Wie ich schon geschrieben haben, machen wir uns einige Schwierigkeiten selbst, manche Streßfaktoren haben sich aber durch unsere globalisierte Lebensweise erst entwickelt. Das Zitat von Jesper Juuls ist insofern nicht inkorrekt, es spiegelt auch viele Punkte im groben wieder die ich hier vertieft habe. Es spiegelt aber noch lange nicht alles wieder. Es liest sich, als wären nur die Familien selbst schuld, wenn der Umgang mit ihrem Kindern schwieriger würde. Dem ist allerdings nicht so! Trotzdem sind wir immer für uns alleine verantwortlich. Auch wenn die Vorraussetzungen sind wie sie sind, sie werden sich nicht von heute auf morgen ändern. Es werden nicht plötzlich Einrichtungen aus dem Boden gestampft werden, es werden nicht plötzlich Entschleunigungen am Arbeitsplatz stattfinden, die Verwandschaft wird nicht in unsere Nähe ziehen... wir müssen daher für uns entscheiden, was uns wichtig ist. Wir müssen für uns, unseren Alltag entschleunigen, so weit es möglich ist. Wir müssen unseren Arbeitsstreß bei der Arbeit lassen und unsere Ansprüche generell übedenken. Wir müssen lernen Nein zu sagen, wenn wir an Grenzen stoßen. Nur wir selbst, können für uns einstehen. Die Umgebung wird sich nicht plötzlich ändern! 

Wir können es uns daher schwer machen oder auch nicht.... was wollen wir?


2 Kommentare:

  1. Heute wird man komisch angeschaut wenn man sein Kind nicht mit einem Jahr in die Krippe gibt. Dann ist man schon fast als Glucke verschrien, weil man sich nicht von seinem Kind trennen könne. Kinder BRAUCHEN ja VOR ALLEM andere Kinder. Das nervt schon irgendwie. Und es erschreckt mich manchmal auch mit welcher Selbstverständlichkeit einige da ran gehen. Politik ist also in den Köpfen angekommen :/
    Wir machen beide Teilzeit, sodass immer einer von uns für die Kinder da ist. Wir wünschen dir viel Schaffenskraft und danken für deine freundschaft wär das einfach wichtig, dass sie nicht vor 3Jahren fremdbetreut werden.

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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